Zum Forschen in die Antarktis
Es war eher der Zufall, der Julia Christmann zum Forschen ins Eis brachte. Bei zwei Aufenthalten in der Antarktis erlebte sie eine beeindruckende Natur und gewaltige Eismassen.
Gleich zweimal in die Antarktis, ans andere Ende der Welt, zu reisen – davon hätte Julia Christmann nie zu träumen gewagt, als sie vor ein paar Jahren mit ihrer Promotion bei Professor Dr. Ralf Müller im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik begonnen hat. Zufällig wurde sie damals auf eine Stellenausschreibung aufmerksam, bei der es um die Forschung an riesigen schwimmenden Eisplatten ging, dem Schelfeis.
„Da ich nicht nur theoretisch arbeiten wollte, sondern auch praktisch, habe ich gedacht, ich versuche es mit einer Bewerbung.“ Dass sie damals die Stelle bekam, war Glück, erzählt sie. „Mein Chef war so mutig, mir eine Chance zu geben.“ Die junge Frau hat Technomathematik studiert und hatte nur im Nebenfach mechanische Grundlagen erlernt – so brachte sie nur wenig Erfahrung im Ingenieurwesen mit. Zu Beginn ihrer Promotion musste sie noch ein paar Grundvorlesungen besuchen, arbeitete sich aber schnell in die Thematik ein. Dazu ging es für sie unter anderem 2012 drei Wochen für ein Seminar an die Universität nach Spitzbergen.
In ihrer Arbeit hat sich die junge Forscherin mit dem Schelfeis beschäftigt. Diese großen Eisplatten schwimmen auf dem Meer. Sie sind aber noch mit Gletschern auf dem Festland verbunden, welche die Schelfeise speisen. Schelfeis ist meist viele Hundert Quadratkilometer groß. Das größte, das Ross-Schelfeis, hat eine Fläche von rund 490.000 Quadratkilometern. Die Eisplatten können zudem bis zu mehrere hundert Meter dick sein, wobei nur ungefähr zehn bis 20 Prozent aus dem Wasser ragen. „Auf dem Antarktischen Kontinent kann aber auch bis zu vier Kilometer dickes Eis vorkommen“, sagt Christmann, die für ihre Doktorarbeit eng mit dem Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, in Bremerhaven zusammengearbeitet hat und hier auch von Professorin Dr. Angelika Humbert betreut wurde.
Die Doktorandin hat mathematische Modelle entwickelt, um zu berechnen, wann und wo das Schelfeis brechen kann, das sogenannte Kalben von Eisbergen. „Bislang beruhten Annahmen dazu immer auf Beobachtungen von Glaziologen und anderen Forschern. Konkrete Berechnungen mit physikalischen Parametern gab es nicht.“
Während ihrer Promotion bot sich für die junge Forscherin mehrfach die Möglichkeit, draußen Feldforschung zu betreiben: Ihre erste Expedition im Jahr 2015 brachte sie zunächst nach Grönland, um erstmals das Schelfeis im Flugzeug aus der Luft zu beobachten. Im Winter 2015/16 war es dann so weit: Ab Kapstadt ging es mit der Polarstern, dem Eisbrecher des AWI, gen Süden ins Ewige Eis. Die Fahrt in die Antarktis dauerte elf Tage. „Als die ersten Eisberge nach einiger Zeit auf dem Wasser auftauchten, war das schon beeindruckend. Viele an Bord haben Fotos gemacht“, erinnerte sie sich. Auf der Reise machte das Team auch Bekanntschaft mit der antarktischen Fauna: So tauchten an vielen Stellen immer wieder verschiedene Pinguin-Arten auf. „Es hat Spaß gemacht, die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten“, erzählt sie. „Sie sind oftmals sehr neugierig.“ Da Menschen für die Vögel keine natürliche Bedrohung darstellen, kommt es auch häufig vor, dass sie sich ihnen nähern. „Dabei sollen Menschen eigentlich mindestens zehn Meter Abstand zu den Tieren halten, aber das wissen ja die Pinguine nicht.“ Neben den Pinguinen und zahlreichen trägen Robben begegnete Christmann auf der Reise mit der Polarstern auch verschiedenen Wale, die in den antarktischen Meeren ihre Bahnen ziehen.
Um im rauen Klima zurechtzukommen, stattet das AWI seine Expeditionsteilnehmer mit entsprechender Bekleidung aus, aber auch Sonnenmilch und eine Sonnenrille gehören ins ordentlich ausgestattete Forscher-Gepäck. „Im Schnitt hatten wir -5° C, das war erträglich. Es war nur selten schlechtes Wetter und die Sonne schien Tag und Nacht. Allerdings wehte oftmals ein eisiger Wind und zusätzlich noch der Fahrtwind. Da lagen die gefühlten Temperaturen schon mal bei unter -30° C.“
Während der Zeit auf der Polarstern hat die Kaiserslauterer Forscherin den Kollegen an Bord bei ihren Projekten geholfen. „Es ging darum, die Wasserströme, Temperaturen sowie den Salz- und den Sauerstoffgehalt in verschiedenen Tiefen zu messen.“ Nach 70 Tagen endete das Abenteuer schließlich im südchilenischen Punta Arenas, von wo es mit jeder Menge neuer Eindrücke und Erfahrungen im Gepäck zurück in die Pfalz ging.
Im Januar 2017 flog Christmann schließlich zurück in die Antarktis. Diesmal per Flugzeug: Sie reiste von Kapstadt aus mit einer russischen Transportmaschine. „Im Flughafen in Kapstadt gibt es einen eigenen Antarktis-Schalter. Auch der Flug wurde wie die anderen Linienflüge auf der großen Tafel angezeigt“, erinnert sie sich. Das Flugzeug selbst war sehr spartanisch eingerichtet. „Es gab keine Fenster“, erzählt sie, „ganz vorne gab es eine Leinwand, auf der uns Informationen zum Flug angezeigt wurden.“ Kurz vor der Landung erinnerte die Crew die Passagiere daran, sich umzuziehen und die für die Witterungsbedingungen vorgesehene Kleidung anzuziehen.
Zunächst verbrachte sie zwei Tage in der norwegischen Forschungsstation „Troll“, bevor es weiter zur deutschen Station „Kohnen“ ging. „Sie ist nur in den antarktischen Sommermonaten bewohnt, also in der Zeit von November bis Mitte Februar“, fährt sie fort. Das Team vor Ort hat sich sehr auf ihre Ankunft gefreut. „Ich habe frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse mitgebracht“, erzählt sie lachend. Die Wochen zuvor musste es sich mit länger haltbaren Lebensmitteln versorgen.
Die Forschungsstation Kohnen besteht aus Containern, die auf Stelzen über dem Eis stehen. Hier sind unter anderem Schlafräume und eine Küche untergebracht. Ein kugelförmiger knallroter Container, der an eine Tomate erinnert, dient als Kühlschrank, in dem frisches Essen gelagert wurde. „Da es draußen mitunter extrem kalt war, musste er beheizt werden.“ Um aus dem Schnee und Eis Trinkwasser zu gewinnen, ist zudem eine Schmelzanlage in einem der Container eingebaut.
Um in der antarktischen Kälte zu bestehen, ist es wichtig, genug zu essen. „Der Körper hat hier einen höheren Kalorienbedarf“, sagt Christmann. „Man kann sehr schnell an Gewicht verlieren, wenn man nicht aufpasst.“
© Thomas KozielIch bin sehr dankbar für die Möglichkeiten, die ich hatte. Solche Natureindrücke zu erleben, war schon etwas sehr Besonderes.
Direkt neben der Station, im Eis, fanden Bohrarbeiten statt – in einem 66 Meter langen und sechs Meter tiefen Graben, der mit einem Holzdach abgedeckt ist, sodass die Forscher halbwegs geschützt vor den Witterungsverhältnissen ihrer Arbeit nachgehen können. „Mit den Bohrkernen kann man unter anderem Rückschlüsse auf Klimaveränderungen im Laufe der Jahrtausende ziehen.“ An der Stelle, an der die Forschungsstation ihren Sitz hat, ist das Eis 2800 Meter dick. „Um bis auf den Grund zu bohren, hat es fünf Jahre gedauert.“
Christmann hat in der Nähe der Station Radarmessungen vorgenommen, um die Dichte des Eises zu untersuchen. Diese Daten hat sie unter anderem mit denjenigen verglichen, die von einem Radargerät stammten, das die Messungen im Flug durchgeführt hat. „Die Daten von der stationären Messung sind wesentlich genauer. Bei diesen Messungen hat man die Polarkleidung zu schätzen gewusst. Die Temperaturen lagen tagsüber um die -30°C und dazu kam dann oftmals noch der Wind.“
Rückblickend ist Christmann froh über diese Erfahrung: „Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeiten, die ich hatte. Solche Natureindrücke zu erleben, war schon etwas sehr Besonderes.“
Ihre Doktorarbeit hat sie kürzlich erfolgreich abgeschlossen. Der Eis-Forschung hält sie nach wie vor die Treue. Sie möchte untersuchen, wie sich die Aufsetzlinien in Grönland im Laufe der Zeit verändern. Hierunter versteht man, den Bereich, an dem das Eis noch den Boden berührt und in das schwimmende Schelfeis übergeht.
Wann die nächste Expedition ansteht, ist aber noch offen. Mit etwas Glück geht es für sie dann wieder ins Ewige Eis.

am 24.08.2017 von
Melanie Löw