Demokratie, Smartphone und Dracula
Anfang des Jahres gingen in Rumänien Tausende Menschen auf die Straße, um ein Zeichen gegen die eigene, erst kürzlich gewählte Regierung zu setzen: Sie plante die Gesetze gegen Korruption zu lockern. Die Proteste hatten Erfolg, die Regierung gab schnell auf. Zu dieser Zeit war die Kaiserslauterer Studentin Sarah Adrian in Rumänien. Sie erlebte die aufgeheizte Stimmung auf den Straßen, ein Land voller Gegensätze und atemberaubende Landschaften.
„In Rumänien hat sich mir jedes Klischee bestätigt und zugleich widerlegt“, erzählt Sarah Adrian, die im sechsten Semester Integrative Sozialwissenschaften studiert. Von September letzten Jahres bis Februar verbrachte sie im Rahmen des Erasmus-Programms der Europäischen Union ihr Auslandssemester in dem südosteuropäischen Land. Ihr Ziel war die Stadt Temeswar, auf Rumänisch Timișoara. Sie ist die drittgrößte Stadt und liegt im Westen des Landes. Hier besuchte Adrian die „universitatea din vest“, was so viel wie „West-Uni“ bedeutet.
Kurz vor den Parlamentswahlen im Dezember reiste sie nach Rumänien. „Ich war schon sehr gespannt darauf, wie sie ausgehen würden“, erzählt Adrian, die als studentische Hilfskraft und Tutorin in der Arbeitsgruppe Politikwissenschaften 2 bei Professor Dr. Jürgen Wilzewski arbeitet und sich bereits in einer Hausarbeit mit dem politischen System Rumäniens auseinandergesetzt hat. „An die Macht kam schließlich die Sozialdemokratische Partei mit Ministerpräsident Sorin Grindeanu. Zunächst dachte ich, dass sei sehr schlecht für die Demokratie.“ Die meisten Parteien bestehen hier noch aus den alten Eliten der kommunistischen Ära. Sie verfolgen oft ihre eigenen Interessen und sorgen in Wirtschaft, Bildung und Kultur eher für Stillstand.
Doch es sollte anders kommen: Als Ministerpräsident Grindeanu und sein Kabinett kurz nach dem Amtsantritt beschlossen, ein Dekret zu verabschieden, das die Lockerung der Anti-Korruptionsgesetze zur Folge haben sollte, regte sich gegen diese Pläne massiver Widerstand in großen Teilen der Bevölkerung. „Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden gingen die Menschen schon auf die Straße, hauptsächlich Studierende und Menschen aus der Mittelschicht“, sagt Adrian, die selber bei den Protesten dabei war. „In Temeswar versammelten sich rund 20.000 Leute. Landesweit waren so viele Menschen bei Kundgebungen wie seit dem Ende des Kommunismus nicht mehr.“
© Thomas KozielHier habe ich erlebt, wie Menschen für Demokratie auf die Straße gehen.
Sarah Adrian
Die Proteste des Volks führten zum Erfolg: Die Regierung zog ihre Pläne zurück, der Justizminister musste zurücktreten. „Hier habe ich erlebt, wie Menschen für Demokratie auf die Straße gehen“, sagt sie weiter. „Dabei ist es kein Land, in dem sich demokratische Prozesse im politischen Alltag durchgesetzt haben.“ Die abwechslungsreiche Geschichte habe beim Vielvölkerstaat Spuren hinterlassen. „Im Kommunismus unter der Diktatur von Nicolae Ceaușescu herrschten für die Bevölkerung ähnliche Bedingungen wie heute in Nord-Korea“, nennt sie als Vergleich.
Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, blieben die wichtigsten politischen Posten im Land immer noch in der Hand der ehemals kommunistischen Elite. „Die Bevölkerung hatte so nie die Chance, demokratische Wertvorstellungen kennenzulernen. Korruption durchzieht nach wie vor viele Bereiche der Gesellschaft. Viele EU-Gelder verschwinden in dunklen Kanälen“, erzählt sie weiter. Auch habe der Überwachungsstaat der vergangenen Zeiten die Seele der Menschen geprägt. „Jeder Nachbar konnte dein Feind sein“, fährt sie fort.
Während ihrer Zeit in Temeswar wollte die Studentin auf eigenen Beinen stehen, um den Alltag besser kennenzulernen. Sie wohnte nicht in einer Wohngemeinschaft oder einem Wohnheim, sondern mietete sich eine eigene Wohnung. Dabei hat sie einen guten Einblick ins rumänische Leben erhalten: Das Land habe von allem etwas. „Vieles hier ist sehr traditionell und veraltet, auf der anderen Seite sitzen Menschen jeden Alters mit ihren Smartphones an jeder Ecke“, erzählt sie. So habe eine ältere Dame ihr erklärt, dass es besser sei, die Daten des Stromzählers per App an das Elektrizitätswerk zu übermitteln, als dort anzurufen. Rumänien habe eine hervorragende und super schnelle Internetversorgung.
Mit der Sprache hatte Adrian von Anfang an wenige Probleme. Durch frühere Urlaube im Land und auch von einem Sprachkurs kannte sie bereits Grundlagen. „Die Sprache ähnelt dem Italienischen mit einem russischen Akzent“, sagt sie.
Das Leben auf dem Campus und das Studium sind ganz anders als in Deutschland. „Ein Studium ist sehr teuer. Meist studieren nur diejenigen, die es sich leisten können“, so Adrian. „Auch finden viele Veranstaltungen am Abend statt, weil die Studierenden tagsüber arbeiten müssen und nur im Anschluss Seminare oder Vorlesungen besuchen können.“
Ihre Zeit in dem Land hat die junge Frau auch genutzt, um herumzureisen. „Die Landschaft ist unglaublich schön“, schwärmt sie. Die Karpaten bestechen durch eine einmalige Natur. Hier gibt es das größte, geschlossene Waldgebiet Europas – Luchse, Braunbären und Wölfe sind hier heimisch. Auch reiste sie auf den Spuren von Vlad Tebes, bekannt als Graf Dracula, nach Siebenbürgen. Der Ort Schäßburg, der mit dem Grafen in Verbindung gebracht wird, zählt seit 1999 zum Unesco-Weltkulturerbe. Der historische Stadtkern besticht durch seine gut erhaltenen Gebäude wie Stundturm und Bergkirche.
Zum anderen ist Rumänien ein Land der Kontraste, dessen Vergangenheit seine Spuren hinterlassen hat, seien es die typischen Holzkirchen, die Architektur des Kommunismus oder die Pferdekutschen, die nach wir vor im Straßenbild zu sehen und für viele Menschen unverzichtbar sind. Auch reihen sich vielen Orts moderne Gebäude wie Shoppingmals neben Industrieruinen aneinander. Besonders gut gefallen hat ihr ihre „Gaststadt“ Temeswar. Dass die Stadt einst zum Kaiserreich Österreich-Ungarn zählte, verraten die vielen historischen Gebäude, die das Stadtbild prägen. So ist Temeswar auch als Klein-Wien bekannt. Es gibt viele Parks und Grünanlagen, die das Leben in der Stadt angenehm machen. Auch das gehört zum Land der Gegensätze.

am 10.07.2017 von
Melanie Löw