
Künstliche Intelligenz in der Medizin
Auslöser von Rückenschmerzen noch besser verstehen - daran arbeitet ein Forscherteam der TU Kaiserslautern gemeinsam mit der Universitätsmedizin Mainz und mehreren Unternehmen. Dabei kommen auch Verfahren der Künstlichen Intelligenz zum Einsatz, die helfen sollen, die Wirbelsäule genauer zu analysieren.
Es drückt an der Wirbelsäule nach langem Liegen oder Sitzen, es spannt im Nackenbereich: Bis zu 85 Prozent aller Deutschen leiden im Laufe ihres Lebens an Rückenschmerzen. Etwa jeder Vierte sucht deswegen jährlich eine Arztpraxis auf. Schmerzen im Rücken sind eine Art Volkskrankheit. In der Behandlung müssten Mediziner also durch und durch erprobt sein, könnte man meinen. Routine eben, doch ganz so einfach ist es nicht. Denn Rückenschmerzen sind zwar häufig. Doch häufig sind auch die Ursachen. Und das erschwert Diagnose und Therapie.
Hinsichtlich ihrer Ursachen lassen sich die Schmerzen grob in zwei Gruppen unterteilen: in nicht-spezifische und spezifische Rückenschmerzen. Bei den Nicht-Spezifischen können Mediziner keine eindeutige physische Ursache entdecken. Spezifische Rückenschmerzen wiederum haben einen nachweisbaren Auslöser – das kann reichen von Nierensteinen bis hin zu einer akuten Prostataentzündung.
Doch nicht selten ist die Ursache von spezifischen Rückenschmerzen im Bereich der Wirbelsäule zu suchen. Eine Wirbelfehlstellung kann beispielsweise schuld sein: Ein verspannter Muskel zieht mit der Zeit einen Wirbel aus seiner Position. Eine solche Fehlstellung kann auch entstehen, wenn man beim Sport eine ruckartige Bewegung macht. Bei einer Spinalstenose wiederum ist der Spinalkanal teilweise eingeengt und drückt auf das Rückenmark und auf die die austretenden Nervenwurzeln. Dazu sollte man wissen: In der Wirbelsäule verläuft der Spinalkanal mit dem darin liegenden Rückenmark. Dieses leitet Nervensignale vom Gehirn in den Körper und zurück. Bei einer sogenannten Skoliose indes ist die Wirbelsäule seitlich verkrümmt. Ein vorzeitiger Verschleiß ist die Folge. Und das bringt mitunter Muskelverspannungen und Rückenschmerzen mit sich. Bei Osteoporose werden die Knochen zunehmend brüchig, – so kann es auch zu Wirbelkörpereinbrüchen kommen. Und auch die Ursachen eines Bandscheibenvorfalls sind im Bereich der Wirbelsäule zu suchen: Die Bandscheiben liegen wie Stoßdämpfer zwischen den Wirbelkörpern. Wenn mit ihnen etwas nicht stimmt, weil beispielsweise der enthaltene Gallertkern verrutscht, dann kommt es zu den Schmerzen.
Kurzum, die Ursachen von Rückenschmerzen sind extrem vielfältig. Damit der Patient die richtige, die passgenaue Behandlung erhält, ist es also zunächst wichtig, dem Auslöser akribisch auf den Grund zu gehen. Klar definiert müsse die Ursache der Schmerzen sein, meint auch Carlo Dindorf, Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe Bewegungs- und Trainingswissenschaft an der TU Kaiserslautern. Und genau daran arbeitet das Team der TUK zusammen mit Jürgen Konradi und dem Forschungsteam des Interprofessionellen Studienzentrums für Bewegungsforschung der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, dem Medizintechnikunternehmen DIERS International GmbH und weiteren Projektpartnern.
Das interdisziplinäre Team setzt dabei auf eine in der Praxis bereits gut erprobte und verbreitete Diagnosetechnik: „Wir scannen den Rücken mit einem Projektor und einer Kameraeinheit“, sagt Dindorf. Dabei wird ein Lichtgitter auf den Rücken projiziert. Mittels der sogenannten Rasterstereographie kann so ein individuelles Modell der Wirbelsäule berechnet werden. Neu bei der Methode ist der Einsatz von Verfahren der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens: „Unser System lernt mit Hilfe der gewonnenen Daten dazu“, erläutert Dindorf. „Je mehr Wirbelsäulen analysiert werden, desto besser wird das System und somit unser Verständnis der Wirbelsäule.“
Genau das soll Medizinern in Zukunft dabei helfen, beispielsweise Fehlstellungen noch besser aufzuspüren. Und das wiederum ließe eine Therapie noch exakter auf den Patienten abstimmen. Dem Ziel, eine punktgenauere, individuell ansetzende Medizin zur Verfügung zu stellen, die ihren Beitrag zur Rückengesundheit leisten kann, „kommen wir Schritt für Schritt näher“, erklärt Professor Dr. Michael Fröhlich, Sprecher des Innovationsbereichs Gesundheit und Leiter der Arbeitsgruppe Bewegungs- und Trainingswissenschaft an der Uni in Kaiserslautern.
Die Technologie ist aber auch für den Leistungs- und Breitensport sowie für die Grundlagenforschung generell von Interesse. So entstehen ein wesentlich differenzierteres Bild und ein besserer Einblick in die Funktion der Wirbelsäule.
Damit die Methode möglichst schnell bei Rückenpatienten ankommt, ist die Offene Digitalisierungsallianz Pfalz in das Vorhaben eingebunden: „Mit der Offenen Digitalisierungsallianz Pfalz arbeiten wir daran, unsere Erkenntnisse in Zusammenarbeit mit anderen Forschern, mit Akteuren aus dem Gesundheitsbereich und mit Unternehmen der Region in die Praxis zu überführen“, erklärt Michael Fröhlich. Der richtige Schritt also, damit das Volksleiden „Rücken“ seinen Schrecken verliert.

am 26.11.2021 von
Melanie Löw