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Im Extremen:
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An den Grenzen des Lebens

Ob in der Tiefsee, in Salzseen oder im ewigen Eis – auch an den bizarrsten Orten der Erde machen sich Mikroorganismen breit. Forscher um Professor Dr. Thorsten Stoeck von der TU Kaiserslautern spüren diese Kleinstlebewesen an den unwirtlichsten Plätzen auf. Dabei wollen sie herausfinden, welche Mechanismen diesen Überlebenskünstlern helfen, in der Extreme zurechtzukommen. Ihre nächste Forschungsreise im Frühsommer führt sie zu heißen Quellen auf Island. Finden sie dort Mikroben, könnte ihnen das auch Hinweise liefern, ob Leben auf dem Mars möglich ist.

Von Unispectrum live • Melanie Löw

Auf glühend heißem Magmagestein in der brütenden Mittagshitze; in Salzfeldern, bei denen die einzelnen Salzkristalle im heißen Sonnenlicht funkeln und glitzern und der Geruch von Schwefel in der Luft liegt; oder in den Tiefen der Meere, wo kein Sonnenstrahl jemals bis zum Grund vordringt und wo der Wasserdruck so hoch ist, dass er jedes Landlebewesen sofort zerbersten würde – an diesen oft bizarr wirkenden Orten mit ihren widrigen Bedingungen ist kein Leben möglich, mag man meinen. Doch der Eindruck täuscht – das Leben findet immer einen Weg. In Jahrmillionen haben winzige Wesen Mechanismen entwickelt, um sich diesen Extremen anzupassen. Hier an den Grenzen des Lebens forschen Professor Stoeck und sein Team von der TU Kaiserslautern. Die Wissenschaftler sind unter anderem auf Wimperntierchen, auch Ciliaten genannt, spezialisiert. Die Einzeller sind mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Ihren Namen haben sie wegen der winzigen Wimpern, die ihren Körper umgeben. Stoeck und seine Kollegen finden diese Tierchen immer wieder an den ungewöhnlichsten Plätzen. „Wir gehen der Frage nach, mit welchen Strategien sie es schaffen, zu überleben,“ sagt Stoeck, der sich schon früh der Meeresbiologie verschrieben hat und vor seiner Professur an der TU unter anderem am Senckenberg Institut für Meeresforschung in Wilhelmshaven und am Marine Science Center der Northeastern University in Boston geforscht hat.

Ihre Arbeit führt die Wissenschaftler regelmäßig an unwirtliche Orte – etwa zu Salzseen, die in über 3.000 Meter Tiefe vor der griechischen Insel Kreta im Mittelmeer liegen. „Diese Seen auf dem Meeresboden entstanden vor rund fünf bis sechs Millionen Jahren, als das Mittelmeer zu großen Teilen ausgetrocknet war“, erklärt Stoeck. Die Salzkonzentration ist hier so hoch, dass Fische und andere uns bekannte Meeresbewohner keine Chance haben zu überleben. – Auch der hohe Wasserdruck, der Mangel an Sauerstoff und eine erhöhte Konzentration an Schwefelwasserstoff machen die Bedingungen nicht besser. Und dennoch: Ciliaten haben es geschafft, sich diesen Lebensraum zu erobern, wie das Team um Stoeck bei der Expedition, bei der ein Tauchroboter die Proben auf dem Meeresgrund entnommen hat, herausgefunden hat.

Aber auch jenseits der Meere sind die Forscher auf der Suche nach Leben: Zum Beispiel in Gletscherseen von den Alpen bis zu den Anden und dem Himalaya, und einem Voralpensee, dem Alatsee. „Sein von Bakterien rot gefärbtes schwefelhaltiges Wasser war schon Inspiration für einen Kriminalroman und ist Ursprung zahlreicher Mythen und Legenden“, weiß Stoeck. Im Spätsommer ist nun die nächste Exkursion geplant: Es geht nach Island. Hier, auf der Insel mit ihrer kargen Landschaft, auf der Vulkane nach wie vor aktiv sind, kann man sich an vielen Stellen ein Bild davonmachen, wie es auf der Erde vor rund vier Milliarden Jahren ausgesehen haben mag – zu einer Zeit also, als das Leben entstanden sein soll. Zwischen erkalteten Lavaströmen und Magmagestein finden sich zahlreiche heiße Quellen, deren Wasser durch die immer noch in der Erde aktive Magma aufgeheizt wird. Temperaturen von über 100 Grad Celsius sind hier keine Seltenheit. Können die Forscher dort überhaupt unbekanntes Leben entdecken? „Da bin ich mir ziemlich sicher", antwortet Stoeck. „Bislang haben wir immer etwas gefunden.“ Diese Forschungsreise wird von der EU finanziert. Ziel ist es, an Orten, die klimatisch ähnliche Bedingungen wie auf dem Mars vorweisen, nach Leben zu suchen. „Wenn wir verstehen, wie Leben dort existieren kann, liefert uns das Rückschlüsse, ob Leben auf anderen Planet möglich ist“, erklärt Stoeck.

Bislang haben wir immer etwas gefunden.

Prof. Dr. Thorsten Stoeck

Um die Überlebenskünstler in den heißen Quellen aufzuspüren, werden die Biologen um Stoeck spezielle Techniken nutzen, die sich schon bei früheren Exkursionen bewährt haben. „Mit unserem Verfahren können wir Proben derart entnehmen, dass das darin enthaltene Material nicht zu Schaden kommt“, so der Professor. Danach geht es für die Forscher schnellstmöglich an die Laborbank: In einem ersten Schritt suchen sie nach genetischem Material – der DNA. „Finden wir diese, wissen wir aber noch nicht, ob die Organismen noch leben oder ob es sich um abgestorbene Überreste handelt“, erklärt Stoeck. Daher prüfen sie in einem weiteren Schritt, ob es lebende Mikroorganismen in den Proben gibt. Dazu schleusen sie genetisches Material, das mit Fluoreszenzfarbe markiert ist, in die Einzeller ein. „Diese Gensonden lagern sich an das Erbgut der Mikroorganismen, so denn vorhanden, ein und wir können sie anschließend unter dem Fluoreszenzmikroskop sichtbar machen“, erklärt Stoeck.

Damit hat die Arbeit der Wissenschaftler aber eigentlich erst begonnen: Sie wollen herausfinden, wie die Mikroben es schaffen, mit diesen Umweltbedingungen zurechtzukommen. „Dabei können ganz unterschiedliche Mechanismen zugrunde liegen“, weiß Stoeck. So haben die Ökologen zum Beispiel schon Wimpertierchen entdeckt, die in Symbiose mit bestimmten Bakterienarten leben. „Nur gemeinsam schaffen sie es, klarzukommen“, so der Biologe weiter. Stirbt einer der beiden ab, ist der andere nicht mehr lebensfähig. Andere Mikroben produzieren hingegen Substanzen, die ihnen helfen, die herrschenden Bedingungen in extremen Lebensräumen zu ertragen. In den Gletscherseen der Hochgebirge etwa schützen sie sich damit ähnlich wie mit einer Sonnencreme vor den starken UV-Strahlen. Erst kürzlich hat das Team um Stoeck eine Entdeckung gemacht – für die es gleich mehrfach ausgezeichnet worden ist: Es hat eine chemische Verbindung in Ciliaten gefunden, die es den Einzellern ermöglichen, sogar in gesättigten Salzlösungen zu leben. Solche Lösungen werden zum Beispiel zum Konservieren von Lebensmitteln verwendet.

Im Labor machen sich Stoeck und sein Team auf die Suche nach diesen besonderen Substanzen. „Dazu analysieren wir das Transkriptom der Zelle“, so der Biologe. „Das ist die Summe aller von der DNA angefertigten Kopien, mit deren Hilfe Zellen Proteine bauen.“ Finden die Wissenschaftler hierbei bislang unbekannte Matrizen, untersuchen sie diese genauer. Dazu stellen sie zunächst die Proteine selber her. Im Anschluss erforschen sie, was das Besondere an diesen Eiweißmolekülen ist und wie sie den Einzellern helfen, in der Extreme zurechtzukommen. „Wir wollen verstehen, welche Mechanismen die Evolution hierbei hervorgebracht hat, um so Rückschlüsse auf den Anfang des Lebens auf der Erde zu ziehen,“ sagt der Professor.

Und wie kommt ein Meeresbiologe eigentlich in den Pfälzer Wald? Hunderte Kilometer vom Meer entfernt? „Das Angebot der TU war damals einfach zu gut“, erinnert sich Stoeck, der aus den USA nach Kaiserslautern kam. „Außerdem profitiert mein Team von den anderen Fachbereichen. Wir arbeiten zum Beispiel viel mit Biochemikern, Informatikern und Mathematikern zusammen. Erst das interdisziplinäre Arbeiten bringt Sinn in unsere Daten. Nicht überall ist eine solche Synergie ohne weiteres möglich.“ Und zurück ans Meer geht es regelmäßig auf Forschungsreisen, auf der Suche nach den Grenzen des Lebens.

Bild des Benutzers Melanie Löw
Erstellt
am 08.04.2016 von
Melanie Löw

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